Wie lesen?
Die ersten Beiträge zum Thema Ökonomie sind nummeriert, und zumindest bei diesen Beiträgen ist es sinnvoll, sie in der vorgeschlagenen Reihenfolge zu lesen, sonst sind die Gedanken vermutlich zum Teil unverständlich. Bei den späteren Beiträgen ist das nicht mehr so relevant.
1. Ausgangslage
2. Kapitalismus
4. Der Staat als Garant der Eigentumsrechte
6. Verteilung von Eigentumsrechten
9. Fazit
Politische Gestaltungssspielräume
Zur Legitimität der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen
1. Ausgangslage
Den modernen Menschen gibt es seit ca. 150.000 Jahren
Vor 10.000 Jahren etwa begann der Übergang von der Kultur der Jäger und Sammler zu den Ackerbaukulturen; ca. 3000 vC beginnt die Menschheit in nennenswerter Größenordnung mit Metallverarbeitung, erst mit Bronze, ab ca. 1200 vC mit Eisen.
Die Römer sind die ersten, die großflächige Verwüstungen von Landschaft und Lebensräumen hinterlassen, hauptsächlich durch Bergbau und Abholzungen zum Zweck der Eisengewinnung und -verhüttung und zum Schiffbau.
Seit ca. 250 Jahren greift die Menschheit nennenswert auf fossiles Material (Kohle, später Öl, Gas), als Energieträger zum Antrieb ihrer Wirtschaft zurück, das entspricht etwa 8 Generationen oder 0,15% der Zeit der Existenz der Spezies. In dieser absurd kurzen Zeitspanne hat die Menschheit es geschafft, in verschiedenen Bereichen die ökologische Tragfähigkeit des Planeten so weit zu überlasten, dass zumindest die Existenz dieser Zivilisation, wenn nicht die der Gattung Mensch überhaupt in Frage steht. Genannt seien hier nur exemplarisch die Themen Klimawandel, Artensterben, Vernutzung von Böden, Meeren, Wasserressourcen etc.
Diese Fakten sind alle nicht neu; zu diesen Themen haben sich auch längst Gegenbewegungen formiert, erst als klassischer Naturschutz, inzwischen auch als grundlegende Kritik an der extraktivistischen Form des Wirtschaftens, erstmalig mit dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome von 1972, heute unter den Begriffen DeGrowth oder Postwachstumsgesellschaft etc.
Und obwohl zu all diesen Themen hinreichend wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die untermauern, dass wir im Interesse einer längerfristigen Bewohnbarkeit des Planeten dringend unsere Lebensweise sehr grundlegend umstellen müssen, geschieht nicht annähernd, was erforderlich wäre. Viele Menschen, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen sind darüber immer wieder fassungslos bis verzweifelt. Die wenigsten verstehen, warum das so ist, womit ich beim Thema wäre:
Nach meiner Überzeugung liegt der Grund, weshalb nicht passiert, was notwendig wäre, in unserer Wirtschafts- und speziell in unserer Eigentumsordnung.
Von daher ist aus meiner Sicht das größte Manko all der genannten Bewegungen, die etwas verändern möchten, dass sie diese Zusammenhänge nicht berücksichtigen und daher im Wesentlichen ineffizient agieren.
Dieser Text ist entstanden mit dem Ziel, möglichst einfach und klar die systemischen Zwänge aufzuzeigen, unter denen die verschiedenen Akteursgruppen dieser Gesellschaft stehen und die den erforderlichen Wandel bislang verunmöglichen.
Ich denke nicht, dass diese Texte viele wirklich neue Erkenntnisse enthalten; es ist eher die Neuzusammenstellung von eigentlich längst Bekanntem, die eine größere Klarheit erzeugt. Überhaupt denke ich, dass da, was einzelne Menschen an Innovation erzeugen, kolossal überbewertet wird. Wir profitieren alle unendlich von dem, was andere vor uns gedacht, gesagt, getan haben. Alles, was wir tun wäre nicht denkbar ohne die vor und neben uns, und der Beitrag jedes Einzelnen ist marginal. Dies bezieht sich nicht nur auf gedankliche Leistungen, sondern auch auf ökonomische. Würden wir die ökonomische Welt mehr nach Maßgabe dieses Gedankens gestalten, hätten wir viele Probleme nicht.
2. Kapitalismus
Das Wirtschaftssystem, in dem wir leben wird meist als Kapitalismus bezeichnet, wobei die Auffassungen, bzw. Definitionen, was genau das beinhaltet durchaus unterschiedlich sind.
An den Anfang meiner weiteren Ausführungen möchte ich daher meine Kapitalismusdefinition stellen:
Kapitalismus ist eine Gesellschaftsordnung, in der den Inhabern von Eigentumsrechten an Existenzgrundlagen anderer Menschen dadurch Einkommen zufließt.
Entstanden sind diese Texte zuerst als Vortrag, und an dieser Stelle füge ich immer ein, dass es für mich völlig unergiebig ist, darüber zu diskutieren, ob das eine gute Kapitalismusdefinition ist. Persönlich halte ich es dafür, aber für das weitere Verständnis, und um dieser unproduktiven Diskussion aus dem Weg zu gehen, können wir den Satz als Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen auch umformulieren zu:
Wir leben in einer Gesellschaftsordnung, in der den Inhabern von Eigentumsrechten an Existenzgrundlagen anderer Menschen dadurch Einkommen zufließt.
Konsequent zu Ende gedacht, erklärt dieser Satz meines Erachtens, warum es in dieser Gesellschaftsordnung keine menschenwürdige Existenz für alle, kein Postwachstum oder DeGrowth, und kein an die Ressourcen dieses Planeten angepasstes Wirtschaften geben kann.
Um diesen Satz und seine Implikationen zu verstehen, werden wir uns im Weiteren u.a. mit folgenden Fragen befassen :
1. Was ist der Unterschied zwischen Besitz und Eigentum?
2. Welche Rolle spielt der Staat?
3. Was meint der Begriff Existenzgrundlagen?
4. Was sind die Folgen von Einkommen in diesem Zusammenhang?
3. Besitz und Eigentum
Umgangssprachlich werden diese beiden Begriffe häufig synonym verwandt, was dazu führt, dass vielen Menschen der Unterschied völlig unklar ist.
Besitz ist die tatsächliche, konkrete Herrschaft über eine Sache. Sie ist offensichtlich gegeben. Eigentum ist das rechtliche Herrschaftsverhältnis zu einer Sache. Es entsteht durch rechtliche Akte und ist insofern nicht offensichtlich. Besitz und Eigentum fallen häufig zusammen, was die diesbezüglichen Unklarheiten erklärt. An ein paar konkreten Beispielen möchte ich den Unterschied aufzeigen.
Jemand, der auf einem Stuhl sitzt, ist beispielsweise Besitzer des Stuhls. Er benutzt ihn, hat die tatsächliche Herrschaft, d. h. er könnte ihn auch aus dem Fenster werfen. Der Besitz entsteht durch die konkrete Situation, diese Tatsachen sind offensichtlich.
Eigentümer ist er nicht unbedingt. Eigentümer ist der- oder diejenige, die den Stuhl gekauft hat, das kann eine natürliche oder eine juristische Person sein. Das Eigentum entsteht im Kaufvorgang, was ein rechtlicher Vorgang ist, der eine Eigentumsübertragung beinhaltet und z.B. durch eine Quittung belegt werden kann. Käme jetzt ein Dieb und nimmt ihn mit, so ist er Besitzer, und zwar widerrechtlicher Besitzer. Besitz kann also widerrechtlich sein, durch Raub, Diebstahl, Unterschlagung. Eigentum dagegen ist niemals widerrechtlich, weil es als rechtliches Verhältnis definiert ist. Die häufig gern gebrauchte Formulierung „rechtmäßiger Eigentümer“ ist also eine Tautologie wie „nasses Wasser“. Ein „unrechtmäßiger Eigentümer“ ist definitorisch nicht möglich.
Genauso ist es beispielsweise bei Wohnungen oder Häusern: Besitzer ist der darin Wohnende, das ist nach Außen offensichtlich; ob der Besitzer auch der Eigentümer ist, erschließt sich erst bei einem Blick ins Grundbuch, wo der Eigentümer eingetragen ist.
Das Eigentumsrecht nach herrschendem Rechtsverständnis besteht aus mehreren Rechten:
ius usus: das Recht eine Sache zu benutzen (das Recht, mit einem in meinem Eigentum befindlichen Auto zu fahren);
ius usus fructus: das „Fruchtziehungsrecht“; das Recht, die Erträge, die mit der Benutzung der Sache einhergehen, zu behalten, sowie die Verpflichtung, Verluste zu tragen (das Recht, die Erträge aus der Vermietung des Autos zu erhalten);
ius abusus: das Recht, die Sache in Form und Aussehen zu verändern (das Recht, das Auto neu zu lackieren, aber auch das Recht, eine Beule in das Auto zu treten);
ius abutendi: das Recht, über die Sache gesamt oder teilweise zu verfügen und den Veräußerungsgewinn einzubehalten (das Recht, das Auto zu verkaufen und das Eigentum daran einem Dritten zu verschaffen)
Besitz hat also immer etwas mit Nutzung zu tun, Eigentum etwas mit Vermögen.
Wenn ich etwas vermiete oder verleihe, übertrage ich als Eigentümer in der Regel nur das ius usus; unter Umständen auch das ius usus fructus, wenn ich beispielsweise eine Untervermietung erlaube; das ist dann aber in einem Mietvertrag in der Regel extra aufgeführt, oder auch ausgeschlossen. Das ius abusus und abutendi übertrage ich nicht. Wenn ich als Mieter, also als Besitzer, meine Wohnung demoliere (ius abusus), kann mich der Eigentümer zur Rechenschaft ziehen und Schadensersatz einfordern. Wenn ich als Eigentümer das gleiche tue, ist das mein gutes Recht.
Wo der Unterschied auch umgangssprachlich deutlich wird ist zum Beispiel beim Begriff Arbeitsplatz: hier ist allen klar, dass der Besitzer eines Arbeitsplatzes in der Regel nicht der Eigentümer ist.
4. Der Staat als Garant der Eigentumsrechte
Im Folgenden möchte ich Sie zu einem kleinen Gedankenexperiment mitnehmen:
Stellen Sie sich vor, sie sind auf einer einsamen Insel gestrandet, eine Robinsonade also. Glücklicherweise befindet sich unter den Dingen die Sie retten konnten auch ein kleiner Vorrat an Mais und Bohnen, die Sie als Saatgut nutzen können. Sie schaffen es sich bis zur ersten Ernte irgendwie durch zu schlagen. Als die Ernte eingebracht ist und Sie etwas optimistischer in die Zukunft blicken, tritt plötzlich ein Fremder aus dem Gebüsch; Sie haben gar nicht mitbekommen, wann und wo er auf der Insel gelandet ist. Er behauptet, das sei seine Insel, und deswegen gehöre die Hälfte der Ernte ihm. Sie zeigen ihm den Vogel und fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank habe. Da pfeift er nur, und es treten noch drei Kumpane mit einer komischen Schärpe aus dem Gebüsch; daraufhin sehen Sie sich zu einer anderen Verhandlungsstrategie gezwungen. Schlussendlich sehen Sie die Kerle mit der Hälfte ihrer Ernte in einem Boot davon fahren.
Vermutlich empfinden das die meisten Leser und Leserinnnen intuitiv als Raub und pures Faustrecht.
Aber wir können unsere Robinsonade an dieser Stelle noch etwas fortsetzen: auf ihre Frage erklärt der Fremde, dass die Insel Teil eines ca. 200 Inseln umfassenden Archipels sei, die Hauptinsel läge 150 Seemeilen östlich, da gäbe es auch ein Parlament und eine Verfassung, und dass ihm bei unrechtmäßiger Nutzung von landwirtschaftlicher Fläche – und Sie hätten ja schließlich keinen Pachtvertrag – die Hälfte der Ernte als Eigentümer zusteht, sei gesetzlich verbrieft nach §xyz BGB. Und außerdem seien das nicht drei Kumpane, sondern Polizisten, wie ja an der Schärpe zu erkennen sei. Schon wirkt seine Forderung ganz anders – irgendwie hat er plötzlich Recht. Außerdem schlägt er Ihnen vor, einen Pachtvertrag über 5 Jahre abzuschließen, dann wäre er mit 30% der Ernte als Pacht zufrieden. Ansonsten käme er nächstes Jahr wieder, und falls Sie immer noch da sind, würde er wieder 50% abkassieren; aber es stünde Ihnen natürlich frei, die Insel zu verlassen. Das würden Sie natürlich gerne tun, ob er Sie den zur Hauptinsel mitnehmen könne. Ach, das wäre eigentlich nicht wirklich in seinem Interesse, aber bei Abschluss eines 5-Jahres-Pachtvertrages mit 60%-Abgabe würde er Sie nach Ablauf der 5 Jahre mitnehmen. Sie haben jetzt die freie Wahl zwischen diesen drei Optionen.
Diese kleine Robinsonade verdeutlicht zwei Dinge, die wir normaler Weise völlig vergessen, weil wir sie dermaßen gewohnt sind, dass sie uns vollkommen selbstverständlich erscheinen:
Erstens ist die Konstruktion von Eigentumsrechten an Dingen, die jemand nicht auch besitzt, also nutzt, eine Fiktion; sie beruht auf Übereinkünften, die mehr oder weniger freiwillig akzeptiert werden.
Zweitens ist die Durchsetzung dieser Fiktion immer mit Gewalt verbunden, sei es wie in unserer Robinsonade mit der Androhung physischer Gewalt, oder durch eine juristisch legitimierte und reglementierte Staatsgewalt.
An dieser Stelle halte ich es für wichtig, keine Unklarheiten bezüglich der Rolle des Staates zu lassen: Aufgabe des Staates war und ist bis heute vor allem anderen, die Eigentumsrechte sowohl nach außen (Militär) wie nach innen (Polizei) zu schützen, also die Rechte und Privilegien der Eliten gegen mögliche Gelüste anderer Eliten im Außen, wie auch gegen Bestrebungen der Unterpriviligierten im Inneren. Spätere Erweiterungen in Richtung Sozialstaat etc. dienten im Wesentlichen der Verhinderung von möglichen Aufständen: die Eliten wollten vermeiden, dass es ihnen so erging, wie den Eliten in Frankreich oder Russland bei den jeweiligen Revolutionen.
Der Staat ist also die Instanz, die mit ihrer Staatsgewalt die Fiktion der Eigentumsrechte garantiert.
Wenn sie in Gedanken den Staat mal kurz abschaffen, werden sie feststellen, dass die Eigentumsrechte im gleichen Moment verschwinden – kein Mensch würde irgendjemand Dahergelaufenem dann noch eine Pacht für Land bezahlen, dass er oder sie mit eigenen Händen bebaut hat, noch würden die Arbeitenden bei BMW den Geschwistern Quandt/Klatten 1 Milliarde Euro pro Jahr überweisen, weil die ja einfach so furchtbar nett sind – womit wir beim Begriff der Existenzgrundlagen sind.
5. Existenzgrundlagen
In der eingangs genannten Kapitalismus-Definition spielt der Begriff der Existenzgrundlagen eine wichtige Rolle:
Kapitalismus ist eine Gesellschaftsordnung, in der den Inhabern von Eigentumsrechten an Existenzgrundlagen anderer Menschen dadurch Einkommen zufließt.
In einer Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgungswirtschaft), sei sie agrarisch oder nomadisch, ist offensichtlich, was die Existenzgrundlage darstellt: Existenzgrundlage ist das Land, auf dem die Menschen leben, in das sie ihre Arbeit investieren, und von dessen Erträgen sie leben. Tatsächlich ist das alles gar nicht so lange her. Mein Vater ist noch auf einem Bauernhof in Ostpreußen aufgewachsen, auf dem die Selbstversorgungsquote bei geschätzten 70% lag. Das war also noch im 20. Jahrhundert in einer der damals führenden Industrienationen immer noch für einen ganz großen Teil der Bevölkerung die selbstverständliche Lebensrealität.
In einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft zerfällt diese Existenzgrundlage für die meisten Menschen in drei zentrale Bereiche: es gibt das Haus oder die Wohnung als ganz unmittelbare Existenzgrundlage, es gibt das Land, auf dem nach wie vor unsere Lebensmittel angebaut werden, auch wenn das für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr direkt als Existenzgrundlage erlebbar ist, und es gibt den Arbeitsplatz, den ich benötige, um meinen Beitrag zu dem komplexen Gefüge der modernen Gesellschaft zu leisten, für den ich im Austausch die Güter und Dienstleistungen erhalte, die ich benötige.
Neben diesen individuellen Existenzgrundlagen gibt es noch gesellschaftliche Existenzgrundlagen, die für eine so komplexe Gesellschaft wie unsere unverzichtbar sind – im Wesentlichen die Netzinfrastrukturen wie Verkehrswege, Wasser- und Energieversorgung, Kommunikationsnetze etc.. Ohne diese im Weiteren zu erwähnen, lassen sich die folgenden Aussagen darauf eins zu eins übertragen.
In einem Hit der 60er Jahre („16 tons“ von Merle Travis ) lautet der Refrain:
„Du lädst 16 Tonnen (Kohle) – was hast du davon? Einen Tag älter und höher verschuldet.
Heiliger Petrus, ruf mich nicht, denn ich kann nicht kommen – meine Seele schulde ich dem werkseigenen Laden.“
(„You load 16 tons – what you get? Another day older and deeper in debt. Saint Peter don‘t you call me ‘cause I can‘t go – I owe my soul to the company store.“)
Es handelt von einem Minenarbeiter. Die konkrete Situation dieser Arbeiter war so, dass sie in werkseigenen Unterkünften wohnten, im werkseigenen Laden zu meist überhöhten Preisen einkaufen mussten, da es sonst in der Regel weit und breit keinen anderen Laden gab, und häufig sogar in werkseigenen Währungen bezahlt wurden, so dass sie auch gar keine andere Option hatten; sie konnten nichts ansparen um eventuell weg zu gehen, weil diese Währungen außerhalb des Werks keinerlei Wert hatten. Es liegt auf der Hand, dass der Unterschied zu Sklaverei im Wesentlichen darin besteht, nicht verkauft werden zu können.
Wenn wir das bezogen auf die vorher genannten Existenzgrundlagen betrachten ist klar, dass dieser Arbeiter über keine seiner Existenzgrundlagen verfügte, sondern in allen dreien abhängig war, und zwar fast ausschließlich von einer Instanz, der Minengesellschaft, was die Lage natürlich zusätzlich prekär macht. Unser Hauptproblem ist meines Erachtens, dass sich aktuell mindestens 50% der Menschheit im Wesentlichen in der gleichen Situation befinden.
Was ist die Konsequenz davon, wenn mindestens die Hälfte der Menschheit nicht mal ansatzweise über ihre Existenzgrundlage verfügt?
Sie sind gezwungen, zu tun, was ihnen gesagt wird, um ihre bloße Existenz zu sichern.
Wenn du jemand, der den Amazonas-Urwald abholzt, fragst, warum er das nicht sein lässt oder jemand, der auf einem Fischerei-Fabrikschiff arbeitet und die Meere überfischt, oder jemand, der im Kraftwerk Garzweiler Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst, wirst du immer die gleiche Gegenfrage bekommen: „Wovon soll ich denn sonst leben?“
Sie alle verfügen nicht über ihre Existenzgrundlagen, und haben damit auch gar keine Basis um darüber zu verhandeln, ob sie das vermindern oder aufhören könnten.
6. Verteilung von Eigentumsrechten
Laut dem Oxfam Weltreichtumsbericht von Februar 2017, der Daten aus 2016 analysiert, besaß die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zu der Zeit (die Eigentumskonzentration hat seitdem weiter zugenommen) etwa 1,5 Promille der weltweiten Vermögenswerte, im Klartext also: praktisch nichts. Das bedeutet, dass sie bezüglich all ihrer Existenzgrundlagen ebenso abhängig sind wie der Kumpel in dem vorgenannten Lied, nur dass ihre Existenzgrundlagen meist nicht in einer Hand liegen, sondern Arbeitsplatz, Wohnung und Land bei unterschiedlichen Eigentümern. Sie sind also nicht von einem Monopolisten abhängig, sondern von einem Oligopol der Eigentümer; ob das einen großartigen Unterschied macht, darüber lässt sich streiten, nach meiner Einschätzung nicht wirklich.
Diese Situation ist auf Deutschland bezogen im Übrigen nicht wesentlich anders, hier hält die ärmere Hälfte der Bevölkerung ca. 1,6% der Vermögenswerte.
Für die meisten Menschen ist Reichtum etwas völlig Abstraktes; wenn jemand reich ist, hat das mit mir wenig zu tun. Reichtum ist so etwas wie bei Dagobert Duck: da hat halt jemand einen gigantischen Tresor, oder ein Bankkonto, oder Aktienpakete, da ist der Reichtum drin. Am besten wäre es, wenn alle reich wären. Warum das nicht so ist, und sich dem auch nicht annähert, sondern im Gegenteil die Ungleichheiten immer weiter anwachsen, ist unklar.
Wenn wir hören jemand sei reich, denken die meisten Menschen an Luxusjachten, Villen am Strand oder Privathubschrauber etc. Das ist jedoch irrelevant, bzw. nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Tatsächlich besteht der Reichtum der Reichen immer aus den Existenzgrundlagen anderer, also aus Land, Häusern und Betrieben, die angeeignet wurden und werden, und diese anderen müssen tagtäglich dafür bezahlen, ihre Existenzgrundlagen nutzen zu dürfen, entweder mit Geld oder mit ihrer Arbeitskraft und -zeit. Aus diesen Erträgen werden dann die Luxusjachten finanziert.
Immer wenn es um so schöne Dinge wie Eigentum, Vermögensbildung, Reichtum überhaupt geht, wenn Sie solche Worte lesen ist immer mit zu denken: es geht um die Existenzgrundlagen von Menschen. Vermögen, egal ob in Versicherungen oder Aktienpaketen, Fonds etc.: am Ende stehen immer konkrete Existenzgrundlagen von konkreten Menschen, die angeeignet wurden.
Wenn Reichtum gleichbedeutend ist mit: „sich die Existenzgrundlagen vieler anderer Menschen angeeignet haben“ bekommt das bekannte Gedicht von Bertold Brecht auch einen ganz unmittelbar konkreten Sinn:
„Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
»Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«.“
Sind deine Existenzgrundlagen mein Eigentum, bin ich deswegen reich und du deswegen zwangsläufig arm. Es ist ein Nullsummenspiel, es kann keine Gewinner ohne die zugehörigen Verlierer geben.
Das ist aus meiner Sicht die wichtigste Aussage dieser Texte: es gibt kein anderes relevantes Kapital als die Existenzgrundlagen von anderen Menschen, nur damit lassen sich Renditen erzielen; es gibt noch Wertgegenstände wie Gold oder Diamanten, die bringen aber keine Rendite, allenfalls Spekulationsgewinne.
Jetzt möchte ich zurückkehren zu der anfänglichen Aussage:
Wir leben in einer Gesellschaftsordnung, in der Inhabern von Eigentumsrechten an Existenzgrundlagen anderer Menschen dadurch Einkommen zufließt.
Der Name der Website postuliert, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dieser Aussage und den globalen ökologischen Krisen.
Wie dargelegt, verfügen etwa 50% der Weltbevölkerung über keinerlei Vermögen. Das führt dazu, dass diese 50% keinerlei andere Existenzoption haben, als sich bzw. ihre Arbeitskraft in dem System zu verkaufen, und zwar egal wofür; die Alternative wäre Verelendung. Das mag in Deutschland mit einem noch relativ gut funktionierenden Sozialsystem nicht so spürbar sein, hier geht es nur um die soziale, nicht die physische Existenz; in weiten Teilen der Welt geht es dabei jedoch um die unmittelbare physische Existenz. Konkret gesprochen: all das, was ich anfangs als Beispiele für die ökologische Krise benannt habe, wie Abholzungen, Bergbau, Ausrottung von Arten etc. tun ganz konkrete Menschen, bzw. ist ein Nebeneffekt von dem was sie tun. Und all diese Menschen tun das nicht, weil das ihre persönliche Erfüllung wäre. Der größte Teil dieser Menschen hat keinerlei andere Existenzoption, als genau das zu tun, weil sie bzw. ihre Vorfahren in einem historischen Prozess, der sich über Jahrhunderte hinzog, für den überwiegenden Teil der Welt in den letzten 500 Jahren unter dem Begriff Kolonialismus stattfand, ihrer sämtlichen Existenzgrundlagen beraubt wurden. Um überhaupt ihre Existenzgrundlagen nutzen zu dürfen, müssen sie permanent für diejenigen, die die Eigentumsrechte daran halten, arbeiten und Renditen erwirtschaften.
Für diese 50% gilt das Zitat von Sinclair Lewis von 1935:
“Es ist schwierig jemand dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängig ist, es eben nicht zu verstehen.“
Nur ein Mensch, der selbst über seine Existenzgrundlagen verfügt, kann sich entscheiden, weniger zu brauchen und weniger zu produzieren; wer tun muss, was ihm gesagt wird, um überhaupt zu überleben, hat diese Wahlmöglichkeit nicht.
Tatsächlich ist die Zahl der vom Funktionieren des Systems Abhängigen noch einiges höher einzuschätzen als 50%, da das erforderliche Vermögen, um tatsächlich unabhängig zu sein, erheblich ist. Im aktuellen System gibt es für die Abhängigen nur die Optionen, auf ein weiteres Funktionieren zu bauen, um ihre Jobs zu sichern, oder die Eigentumsordnung grundlegend in Frage zu stellen, was angesichts der ausgebauten Repressionsapparate wenig Aussicht auf Erfolg hat. Daher werden sie sich mit aller Energie für die Weiterexistenz des Systems einsetzen (müssen), egal wie die langfristigen ökologischen Folgen aussehen, da sich die kurzfristigen individuellen Folgen eines Ausstiegs aus dem System ökonomisch immer desaströs darstellen, sprich: mit dem Verlust der ökonomischen Existenz verbunden sind. Oder nochmal konkret: wenn die Wahl ist, den Urwald weiter abzuholzen, oder sonst die Arztrechnung der kranken Mutter nicht bezahlen zu können, werden die Menschen selbst beim Wissen um die ökologischen Konsequenzen das Abholzen wählen – und zwar völlig berechtigter Weise.
Im Grunde genommen ist es seit ca. 5.ooo Jahren, seit die Menschheit sich in größeren Einheiten organisiert, das gleiche Konzept; egal ob im alten Ägypten mit seinem Gottkönigtum, in der Sklavenhaltergesellschaft des alten Rom, im Feudalismus mit Lehen und Leibeigenschaft, in den Kolonialgesellschaften oder im heutigen Kapitalismus: immer ging es darum, dass sich eine sehr kleine mit den entsprechenden Gewaltmitteln versehene Minderheit möglichst viel des gesellschaftlich geschaffenen Reichtums aneignet. Nur sind die Machtmittel subtiler und die Profiteure unsichtbarer geworden. Als die Menschen noch direkt mit Peitsche und Speer, oder Schwert und Armbrust gezwungen wurden, wussten sie immerhin gegen wen sich ein Aufstand zu richten hatte. In Zeiten, in denen die Aneignung über Treuhandfirmen in Steueroasen abgewickelt wird, die sich wiederum auf staatliche Gewalten weltweit stützen können, die die Eigentumsrechte sichern, ist für die meisten Menschen sehr unklar, wie die Mechanismen ihrer Versklavung funktionieren.
7. Das Rattenrennen
Das kapitalistische Heilsversprechen: Jeder*r kann es schaffen, oder der amerikanische Traum: „vom Tellerwäscher zum Millionär“ ist ein unverzichtbares Ingredienz unserer Kultur. „Es“ steht hier für Reichtum, Ruhm und Macht, in beliebiger Reihenfolge.
Ich will gar nicht behaupten, dass der Satz gelogen wäre. Nur: dadurch, dass die entscheidende Fortsetzung unterschlagen wird, erfüllt er den Tatbestand der Irreführung:
Jeder kann es schaffen: ja, aber niemals alle.
Mit seinem Focus auf den einzelnen schafft der Slogan dann auch gleich Klarheit, woran es liegt: schaffst du es nicht, dann bist du zu blöd, hast dich nicht genug angestrengt, es halt einfach nicht verdient. Dabei hört sich der Spruch doch so positiv an, Mut machend, motivierend, du hast es selbst in der Hand. Wenn es hieße statt: „Jeder kann es schaffen“,
Wäre die Formulierung stattdessen: „Einer von tausend kommt nach oben, es gilt jeder gegen jeden, und alles ist erlaubt“ was die Realität wesentlich korrekter beschreibt, würden sich möglicher Weise deutlich mehr Menschen fragen, ob das der Lebensentwurf ist, dem sie folgen wollen.
Eine weitere Konsequenz dieses Rattenrennens „einer von tausend“ ist, dass nur gewinnen kann, wer seine Ziele hinreichend rücksichtslos verfolgt. Dieses Rattenrennen ist das Verfahren, mit dem unsere Gesellschaft ihre Eliten, also diejenigen, die irgendwann in Positionen gelangen, die weitreichende Entscheidungen ermöglichen, auswählt. Entsprechend kommt eine wissenschaftliche Studie zu folgender Erkenntnis:
„australische Forscher haben ……. die Profile von 261 Konzernchefs untersucht und dabei herausgefunden, dass 21 Prozent der Manager Indizien für außerordentlich stark ausgeprägte Züge von Psychopathie aufweisen. ….
Solche Merkmale sind unter anderem Unfähigkeit zur Empathie, Oberflächlichkeit und Unehrlichkeit..“
(An Australian study …. of 261 senior professionals in the United States found, that 21 percent had clinically significant levels of psychpathic traits …Telegraph 13/09/2016)
Wieviele nur leicht ausgeprägte Züge von Psychopathie aufweisen, verrät die Pressemeldung leider nicht.
Das Ergebnis der Studie lässt sich meines Erachtens auf die politischen Eliten eins zu eins übertragen.
8. Wachstumszwang
Um das Bild des Gesamtsystems abzurunden noch einige Sätze zum Thema Wachstumszwang:
Die Produktivitätsgewinne in der deutschen Wirtschaft von 1991 bis 2011 betrugen etwa 35%, also im Durchschnitt jährlich über 1,5%.
Ein Ende des Produktivitätsfortschritts ist nicht zu erwarten. Damit hat die Gesellschaft theoretisch die Wahl, den Produktivitätsgewinn zur Minderung der Arbeitszeit zu nutzen (bei gleichbleibendem Ausstoß), oder zu einer Erhöhung der Produktion. Des Weiteren bestünde dann die Wahl, wie das Mehr an Produktion bzw. das Weniger an Arbeit verteilt wird. Praktisch existieren diese Wahlmöglichkeiten bei den gegebenen Eigentumsverhältnissen nicht, da eine Minderung der Arbeitszeit auf Freisetzung von Arbeitskräften hinausläuft, die allerdings keinerlei andere Existenzoption haben, wie oben dargelegt. Konkret wären – bei gleichbleibendem Bruttosozialprodukt – innerhalb dieser 20 Jahre über 30% aller Arbeitsplätze ersatzlos entfallen. Das würde jedes politische System destabilisieren und die meisten Regierungen wegfegen. Um die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten, bleibt also nur die Möglichkeit der Erhöhung der Produktion.
9. Fazit
Zusammenfassend haben wir also eine Situation
– in dem die große Mehrheit der Menschen vom Weiterfunktionieren des Systems völlig abhängig sind, weil sie keine andere Existenzoption haben
– in dem die Steuerungseliten im Wesentlichen von ihrer charakterlichen Ausstattung her gar nicht in der Lage sind für ein Ganzes empathisch Sorge zu tragen
– in dem bereits jetzt eine substantielle Übernutzung der natürlichen Ressourcen stattfindet; der Erdüberlastungstag, also der Tag, an dem die Menschheit soviel Ressourcen aufgebraucht hat, wie dieser Planet in einem Jahr nachhaltig zur Verfügung stellen kann, lag 2024 am 1.August. (Für Deutschland übrigens am 2. Mai.)
– in dem sich die Steuerungseliten darin völlig einig sind, dass wir trotzdem immer mehr und mehr und mehr produzieren müssen, weil ihnen sonst das ganze System einschließlich ihrer eigenen Position darin um die Ohren fliegt.
Das ergibt relativ unerfreuliche Aussichten für die Zukunft.
Die meisten Bewegungen, die sich für einen Wandel einsetzen, bauen auf Strategien, die sich im Wesentlichen auf Aufklärung, Bewusstseinsbildung, politische Einflussnahme über öffentliche Meinung etc. stützen. Nach meiner Überzeugung sind diese Strategien zum Scheitern verurteilt, wenn sie den Menschen keine konkrete Existenzoption eröffnen.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erdüberlastungstag
Politische Gestaltungsspielräume
Unter der aktuellen Eigentumsordnung gibt es für politische Entscheidungsträger bezogen auf die Umweltkrisen im Wesentlichen drei mögliche Strategien:
1. Ignorieren: Klimaveränderungen gab es immer schon etc.;
Zu erwartender Effekt; Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis 2100 um über 4°C; Artensterben geht unverändert weiter (oder beschleunigt sich noch) etc.. Auf diese Position gehe ich hier nicht näher ein.
2. Durchwursteln: ein paar Maßnahmen ergreifen, die niemand wirklich wehtun, vor allem das Wirtschaftssystem und die Arbeitsplätze stabil halten.
Zu erwartender Effekt: Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis 2100 um ca. 3°C, Artensterben geht unverändert weiter. Dieser Pfad wird aktuell im Wesentlichen von allen politischen Parteien und Entscheidungsträgern – mit leicht unterschiedlichen Gewichtungen – verfolgt. Er ermöglicht u.a. auch eine erfolgreiche Wiederwahl nach der Legislaturperiode.
3. Handeln: massive Maßnahmen ergreifen, die versuchen, die Umweltkrisen wirklich einzudämmen.
Zu erwartender Effekt: Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis 2100 um bis zu 2°C, Eindämmung des Artensterbens.
Das bedeutet für Deutschland konkret, dass ganz viel Produktion beendet werden muss: die Produktion von tonnenschweren Vehikeln für den Individualverkehr, ganz egal mit welcher Antriebstechnik, weil dieses Konzept des Individualverkehrs sowieso nicht zukunftsfähig ist; Rüstungsproduktion sowieso (wieviel Energie und Rohstoffe verschlingt die Produktion eines einzigen Panzers?), ganz viel chemische Produktion (Ackergifte etc.) und diese Produktion darf nicht durch andere, die natürlich auch wieder Energie und Rohstoffe benötigen würde, ersetzt werden. Das bedeutet, es werden Millionen von Arbeitsplätzen vernichtet.
Diese Szenario kann im Übrigen nur erfolgreich sein, wenn es über einige Legislaturperioden (>20J) durchgehalten wird, und die Führungen der meisten industriell entwickelten Länder sich der Strategie anschließen. Es führt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass bei der nächsten Wahl die Opposition einen Erdrutschsieg einfährt und zu Strategie 1 oder 2 zurückkehrt.
Irgendwie nicht verwunderlich, dass diese Strategie bei der politischen Klasse nicht viele (bzw. keine) Anhänger und Anhängerinnen hat.
Im Umkehrschluss bedeuten diese Überlegungen, dass unter der aktuellen Eigentumsordnung keine Möglichkeit effektiven politischen Handelns zur Bewältigung der Umweltkrisen besteht, und diese daher grundlegend verändert werden muss: Systemwandel statt Klimawandel.
Quelle: https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Klimaprojektionen
Zur Legitimität der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen
Das Grundgesetz stellt in Artikel 1.1 den Schutz der Würde des Menschen in das Zentrum aller staatlichen Gewalt. In Artikel 14.1 schützt das Grundgesetz Eigentum und Erbrecht (wobei eine Beschränkung im Interesse der Allgemeinheit bereits angelegt ist).
Dass diese beiden Rechtsnormen – wirklich zu Ende gedacht – im Grundsatz unvereinbar sind, ist eine Problematik, die die westliche kapitalistische Gesellschaftsordnung als ungelöster Antagonismus durchzieht; das deutsche Grundgesetz ist nur ein Ausdruck hiervon.
Wieviel Ungleichheit moderne Gesellschaften zulassen ist weltweit sehr unterschiedlich ausgeprägt; vor allem in Ländern des globalen Südens sehen wir Ungleichheiten fast ohne jegliche Begrenzung: Multi-Milliardäre in den Ölscheichtümern, deren Hausangestellte in sklavereiähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen gefangen sind, indische Softwaremillionäre neben Slums auf Müllkippen, deren Bewohner eine deutlich geringere Lebenserwartung haben.
Während die Ungleichheit sich in den westlichen Staaten in der Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich verringerte, steigt sie seit ca. 1980 wieder an.
Die im gesellschaftlichen Diskurs immer wieder angeführte Rechtfertigung für Ungleichheit beziehen sich im Wesentlichen auf Leistung und Verdienste für die Gesellschaft. Sprüche wie „Leistung muss sich wieder lohnen“ (Wahlwerbung der CDU 1982, seitdem vielfach kopiert) „wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“ (Franz Müntefering, SPD 2006, Original aus dem neuen Testament, 2 Thess3, 10b, Paulus-Zitat – im Übrigen aus dem Zusammenhang gerissen und falsch benutzt) werden ständig bemüht. Dahinter steht die nicht explizit genannte These, dass Einkommen und Vermögen in dieser Gesellschaft nach Leistung vergeben würden. Diese möchte ich im folgenden näher überprüfen.
Laut einer 2015 veröffentlichten Studie (Erbschaft und Eigenleistung im Vermögen der Deutschen, FU Berlin) wird aufgezeigt, dass die großen Vermögen in Deutschland zu etwa einem Drittel auf Erbschaften beruhen, und zu zwei Drittel auf eigenen Einkünften. Damit ist schon geklärt, dass die angesprochen Leistungslogik auf mindestens ein Drittel der großen Vermögen nicht zutrifft. Dass diese alten und über viele Generationen bestehenden großen Vermögen darüber hinaus das Ergebnis von himmelschreienden Ungerechtigkeiten sind, angefangen bei den immer noch bestehenden, wenn auch oft sehr diskreten Großvermögen des Adels – Stichworte Einhegung der Allmende, Bauernkriege, Leibeigenschaft – bis zu den Vermögen, die durch die Industrialisierung mit ihren menschenverachtenden Ausbeutungsverhältnissen entstanden sind, sei hier nur am Rande erwähnt.
Aber wie sind die großen Vermögen einzuschätzen, die auf individuellen Einkünften und damit anscheinend auf eigener Leistung beruhen?
Um dem näher zu kommen, möchte ich zu ein paar Gedankenexperimenten einladen:
schauen wir uns Jeff Bezos an, laut verschiedener Auflistungen der letzten Jahre einer der reichsten Menschen der Welt. Er hat Amazon gegründet und damit dieses Vermögen angehäuft – aber wessen Leistung war das eigentlich?
Stellen wir uns Jeff Bezos auf einer einsamen Insel vor, quasi als Robinson Crusoe: hätte er es auch zum Milliardär gebracht? – offensichtlich nicht. Oder als Angehöriger eines Indigenen-Stamms am Amazonas? – ebensowenig. Dass das Amazon-Imperium entstehen konnte, ist Ergebnis einer Vielzahl von Voraussetzungen, die die moderne Gesellschaft geschaffen hat: angefangen von Transportwegen über das Vorhandensein einer Telekommunikationsinfrastruktur bis hin zur flächendeckenden Ausstattung mit Computern, einer hinreichend großen Zahl an Menschen, die dringend einen Job brauchen und deswegen zu Mini-Löhnen bei Amazon arbeiten, um ihre prekäre Existenz zu sichern und natürlich all der Menschen und Produktionsanlagen, die die Dinge herstellen, die Amazon vertreibt. Es gab bereits Vorläufer im Bereich Online-Handel, und hätte nicht Bezos Amazon 1994 gestartet, wäre aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb des nächsten Jahres jemand anderes auf die Idee gekommen. Bezos Leistung war im Wesentlichen, in einem kurzen gesellschaftlichen Möglichkeitsfenster diese Möglichkeit zu erkennen und konsequent zu nutzen. Wieviel Wert dabei seiner persönlichen Leistung zuzumessen ist, darüber lässt sich natürlich streiten – meiner Einschätzung nach ist der jedoch marginal verglichen mit der Leistung, die die Gesellschaft insgesamt und die Mitarbeiter von Amazon und der Speditionen dabei erbracht haben.
Des Weiteren stellt sich die Frage, welcher gesellschaftliche Wert damit erzeugt wurde. Erinnern wir uns: Amazon startete 1995 als Online-Buchhändler. Nun war es weder vor 1995 schwierig, Bücher zu erwerben, noch ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit des Online-Erwerbs zu einem wesentlich erhöhten Leseverhalten geführt hat. Das bedeutet, dass all die Bücher, die Amazon verkauft hat, jemand anderes nicht mehr verkauft hat: Amazon hat also zehntausende im Wesentlichen schlecht bezahlte und unqualifizierte Stellen geschaffen und damit vermutlich mindestens ebenso viele Selbständigkeiten und qualifizierte Arbeitsplätze im Buchhandel vernichtet. Es hat also im Wesentlichen eine Umstrukturierung von Vertriebswegen stattgefunden, die viele qualifizierte Stellen und Selbständigkeiten durch viele schlechter qualifizierte Jobs ersetzt hat, und die dadurch frei werdende Gewinnmarge konnte sich eine Person aneignen und so ein gigantisches Vermögen anhäufen. (Auf die anderen Produkte, die bei Amazon erworben werden können lässt sich das analog übertragen.) Nach der aktuellen Rechtsordnung handelt es sich bei all dem selbstverständlich um legale Vorgänge; Legalität entsteht jedoch in einem historischen Prozess, in dem gesellschaftliche Machtungleichgewichte massiv Einfluss genommen haben und weiter nehmen. Was legal ist, muss keineswegs gesellschaftsdienlich oder gemeinwohlorientiert sein; häufig genug dient es im Wesentlichen den Interessen der reichsten Eigentümerschicht, die über verschiedene Einflussmöglichkeiten die Gesetzgebung maßgeblich bestimmt.
Ein anderes Beispiel zum Thema Einkommen und Leistung:
gerade bei hochbezahlten Spitzensportlern ist doch unmittelbar offensichtlich, dass sie für ihr Einkommen eine entsprechende Leistung erbringen: man sieht ja, wie sie rennen und schwitzen. Oder?
Die Preisgelder für den Wimbledon-Sieg im Herren-Einzel betrugen1970 3.000£, 1990 230.000£ (77-fache), 2010 1.000.000£, (333-fache) 2019 2.350.000£ (780-fache) (Zahlenangaben nominal).
Zum Vergleich: das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers in Vollzeit betrug in Deutschland (altes Bundesgebiet) 1970: 6.972, 1990 22.548 (3,2-fache), 2010: 40.056 (5,7-fache), 2019: 49.320 (7,1-fache) (Zahlenangaben nominal in Euro)-
Stellt sich die Frage: spielt Novak Dokovic (Wimbledonsieger im Herreneinzel von 2019) 780-mal so gut wie John Newcomb (Wimbledonsieger im Herreneinzel von 1970)? Hat er das 780-fache geleistet? Und warum sind die Leistungen von Tennisspielern so enorm gestiegen, während die Leistungen von normalen Arbeitnehmern im gleichen Zeitraum nur um das 7,1-fache gestiegen sind – vorausgesetzt, es gäbe den behaupteten Zusammenhang von Leistung und Einkommen?
Der mit Abstand größte Anteil der Einnahmen der Veranstalter von Wimbledon kommt aus der Vermarktung von Senderechten; sie kommen also nur zu Stande, weil auf eine enorme gesellschaftlich geschaffene Infrastruktur aus Fernsehen, Radio, den zugehörigen Geräten in jedem Haushalt etc. zurückgegriffen werden kann. Erst diese gigantische Infrastruktur ermöglicht, dass solche immensen Geldströme auf einzelne Individuen gebündelt werden; dass die Preisgelder so ansteigen konnten ist das Ergebnis davon, dass die medialen Infrastrukturen in den vergangenen 50 Jahren so ausgebaut wurden, nicht weil die heutigen Tennisspieler und -spielerinnen so unglaublich viel mehr leisten, als ihre Vorgänger.
Und ein drittes Beispiel: vergleichen wir einmal das Einkommen einer Putzkraft in einer Klinik, die ca. 13.200€ im Jahr überwiesen bekommt, mit dem Einkommen eines Chefarztes, ca. 300.000€ im Jahr – also etwa dem 28-fachen (https://aerztestellen.aerzteblatt.de/de/redaktion/gehalt-als-chefarzt-das-koennen-sie-verdienen nach Kienbaum-Vergütungsreport 2019 „Ärzte, Führungskräfte und Spezialisten in Krankenhäusern 2019). Begründet wird dieser Unterschied, der ja immerhin bedeutet, dass die Putzkraft im ganzen Leben etwa soviel verdient, wie der Chefarzt in 2 Jahren, mit der ungleich höheren Verantwortung, Belastung und Qualifikation des Chefarztes. Bezogen auf die Faktoren Verantwortung und Belastung ist das Gehalt demnach eine Vergütung für Erlittenes, das honoriert werden muss, also eine Art Schmerzensgeld.
Aber ist der Job als Chefarzt tatsächlich soviel leidvoller als der einer Putzkraft? Machen wir einmal das Gedankenexperiment: wenn wir dem Chefarzt anbieten, er könne bei weiterhin vollen Chefarzt-Bezügen mit der Putzkraft den Job tauschen: glauben sie er würde das Angebot annehmen, um damit der Last seines Berufes zu entrinnen? Ohne hierzu eine repräsentative Studie erstellen zu können halte ich das für äußerst unwahrscheinlich. Demnach ist das Argument der zu vergütenden Belastung nicht haltbar.
Bleibt noch das der unstrittig enorm hohen Qualifikation des Chefarztes. Stellt sich die Frage: aus welchem Grund ist es angemessen, diese Qualifikation so hoch zu vergüten. Es ist davon auszugehen, dass die Putzkraft, während der Chefarzt die Oberstufe besuchte und studierte, im Wesentlichen schon gearbeitet hat. Nun beschreiben die meisten Menschen rückblickend lange Ausbildungszeiten nicht unbedingt als Leidenszeiten, das Studium wird vielmehr häufig als schönste Zeit im Leben kolportiert. Gleichzeitig werden diese Zeiten – zumindest in Deutschland – von der Gesellschaft im Wesentlichen kostenfrei ermöglicht: ein Medizinstudium kostet die Allgemeinheit da. 190.000€ (6 Jahre à ca. 31.700€); ermöglicht wird dies zu großen Teilen von Menschen wie der Putzkraft, die in dieser Lebensphase bereits berufstätig ist und Steuern zahlt. Letztlich bleibt einfach der Knappheitsfaktor, der das Einkommen des Chefarztes ermöglicht: es gibt nicht viele Menschen, die die erforderliche Qualifikation haben, und es besteht immer die Möglichkeit, woanders, u.a. auch ins Ausland zu gehen, wo die gewünschte Gehaltsforderung bereitwillig erfüllt wird. Im Wesentlichen wird also auch hier eine gesellschaftliche Errungenschaft – solche Ausbildungswege zu ermöglichen – ausgenutzt und die Vorteile daraus privat angeeignet
Letztendlich handelt es sich bei diesen großen Einkommen um das gleiche Phänomen wie wenn eine Stadt eine neue Straßenbahn- oder S-Bahn-Linie baut, und der Wert der Grundstücke und Immobilien im Einzugsbereich der neuen Linie daraufhin drastisch ansteigt: die Gesamtgesellschaft erschafft Neuerungen und Strukturen, und der Mehrwert wird privat angeeignet.
Wir alle stehen auf den Schultern der Generationen vor uns und sind im Verbund mit den Menschen um uns, und das was wir tun und leisten ist überhaupt nicht möglich ohne diese Gesamtgesellschaft. Dass die private individuelle Aneignung solch immenser Werte wie bei Jeff Bezos und anderen überhaupt gesellschaftlich möglich ist, ist ebenso Ergebnis von gesellschaftlichen Schöpfungen wie Rechtsstrukturen etc. All das hat mit individueller Leistung für diese Gesellschaft annähernd keine Korrelation. Im Gegenteil: in einer Studie von 2009 untersucht die NEF (new economics foundation www.neweconomics.org) den gesellschaftlichen Wert, den verschiedene Berufsgruppen erzeugen, und kommt zu dem Schluss, dass zum Beispiel leitende Banker der Londoner City für jedes Pfund, das sie erhalten etwa das 7-fache an gesellschaftlichem Wert vernichten, während Menschen, die Kinder betreuen für jedes Pfund, das sie verdienen etwa den 7- bis 9,5-fachen gesellschaftlichen Wert erzeugen. Werbemanager vernichten gesellschaftlich etwa den 11-fachen Wert ihres Einkommens, während Krankenhaus-Putzkräfte den 10-fachen Wert ihrer Entlohnung erzeugen. (NEF: A Bit Rich: Calculating the real value to society of different professions).
Die Überlegungen zu den hier untersuchten Beispielen lassen sich meines Erachtens analog auf alle anderen dieser gigantischen Einkünfte, die sich auf einzelne Menschen bündeln, übertragen. Es sind im Wesentlichen völlig unverhältnismäßige Aneignungen gesamtgesellschaftlich geschaffener Werte. Mit gesellschaftlich hochgradig negativen Konsequenzen. Genau wie die Fließgeschwindigkeit in Flüssen und Bächen drastisch zugenommen hat, seit die Menschheit die Gewässer kanalisiert und begradigt, hat die Fließgeschwindigkeit von Geld in den letzten Jahrzehnten durch die Einführung von Bankwesen, grenzübergreifendem Zahlungsverkehr, Abschaffung von Zöllen und Regulierungen, Digitalisierung und Internet extrem zugenommen. Auch dies ist eine gesellschaftlich geschaffenen Infrastruktur, die überhaupt erst ermöglicht, dass in extrem kurzer Zeit immense Geldströme auf einzelne Personen fokussiert werden können. Von individueller Leistung der Nutznießer keine Spur.
Auf dem Weg zu einer menschlichen und zukunftsfähigen Gesellschaft müssen die zu Grunde liegenden Strukturen verändert werden, und muss sich die Gesellschaft ihrer geschaffenen Werte selbst bemächtigen und sie in gesellschaftlich sinnvolle Vorhaben fließen lassen.
Quellen:
https://en.wikipedia.org/wiki/1970_Wimbledon_Championships
https://en.wikipedia.org/wiki/1990_Wimbledon_Championships
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/Tabellen/liste-bruttomonatsverdienste.html
Paradigmenwechsel
Wir stehen heute vor der unausweichlichen Entscheidung, eine Intensivierung des Bewusstseins zu leisten oder nicht. Leisten wir sie nicht, so wird die heutige Menschheit infolge des Mißbrauchs und Leerlaufs rationaler Fähigkeiten zugrunde gehen.
Jean Gebser (in: „Asien lächelt anders“, Vorwort)
Das herrschende Paradigma der westlich geprägten Ökonomie wird von dem Dreiklang Eigentum – Konkurrenz – Profit geprägt. In der Regel geht es bei wirtschaftlicher Tätigkeit darum, auf der Grundlage von Eigentumsstrukturen in Konkurrenzverhältnissen Profite zu erzeugen.
Das bedeutet nicht, dass es nicht Räume gibt, die nach anderen Grundmustern funktionieren: im Familien- oder engen Freundeskreis ist es auch in westlichen Gesellschaften noch immer üblich, auch ökonomischen Austausch nach Prinzipien wie Solidarität und gegenseitiger Hilfe zu gestalten. Entscheidend ist dabei jedoch, dass es sich hierbei um Beziehungsgestaltung handelt, die wesentlich mehr umfasst als ein nur ökonomisches Verhältnis. Sobald diese persönliche Bezogenheit nicht gegeben ist, tritt in der Regel das ökonomische Paradigma in Funktion.
Dieses ökonomische Paradigma ist eingebettet in ein kulturelles das sich u. a. durch folgende Begriffe charakterisieren lässt:
Mangel – Egoismus – Gier – Raffen – Haben – Reichtum – Angst
Die Dominanz dieser Muster ist unabdingbare Folge der Möglichkeit, Eigentumstitel an Existenzgrundlagen anderer zu halten; das erzeugt eine existentielle Verunsicherung die zu diesen Mustern führt.
Dass dieses Paradigma für eine gedeihliche Entwicklung der Menschheit überwunden werden muss, ist auch keine neuer Gedanke; als neues Paradigma begegnen mir häufiger folgende Begrifflichkeiten:
Altes Paradigma | „Neues“ Paradigma |
Mangel | Fülle |
Egoismus | Altruismus |
Gier | Verzicht |
Raffen | Schenken |
Haben | Sein |
Reichtum | Armut |
Angst | Glück |
Aus meiner Sicht handelt es sich dabei jedoch im Wesentlichen um Gegensatzpaare zum alten Paradigma; das Denkmuster bleibt zwangsläufig dasselbe und der alten Denkstruktur verhaftet. Ich nenne es daher Scheinparadigma.
Um das neue Paradigma zu beschreiben, schlage ich folgende Begrifflichkeiten vor:
Altes Paradigma | Scheinparadigma | Neues Paradigma | |
Mangel | Fülle | Genüge | |
Egoismus | Altruismus | Solidarität | |
Gier | Verzicht | Nicht Anhaften | |
Raffen | Schenken | Teilen, Weitergeben | |
Haben | Sein | Mitsein | |
Reichtum | Armut | Allmende (Gemeinschaft) | |
Angst | Glück | Verbundenheit |
Da Begriffe sehr unterschiedlich verstanden bzw. gefüllt werden können, gibt es ganz sicher gute Gründe oder Blickwinkel, das alles ganz anders zu sehen.
Daher kommentiere ich die einzelnen Zeilen kurz, um klar zu machen, worum es mir geht.
Die Begrifflichkeiten unter „Neues Paradigma“ erscheinen teilweise etwas sperrig oder uninituitiv: da Begriffe und Denkstrukturen in dem kulturellen Paradigma wurzeln, ist es nicht verwunderlich, dass der Versuch, hier das Gewohnte zu verlassen zu Formen führt, die dem Denken anfangs unbequem sind.
– (das Wort Genüge gibt es als Substantiv in der Regel nur in der Formulierung „zur Genüge“ oder „etwas Genüge tun“; da ich es schön und brauchbar finde, möchte ich es einführen:) Mangel und Fülle beziehen sich auf Quantitäten, die mir verfügbar sind; Genüge bezieht sich auf die Erfüllung eines Bedürfnisses und liegt nicht zwingend zwischen Mangel und Fülle, sondern unter Umständen auch ganz woanders: dem Mangel an Facebook-Freunden steht die Fülle gegenüber; die Genüge ist möglicherweise – gar keiner?
– im Egoismus wie Altruismus steht mir der/die andere nicht auf Augenhöhe gegenüber, sondern wird Objekt meiner Gier oder meiner Hilfe in einer Beziehung, die ein Gefälle und eine klare Richtung hat: zu mir, oder von mir weg; in der Solidarität einsteht eine wechselseitige Beziehung auf Augenhöhe
– Gier wie Verzicht beinhalten eine emotionale Verklebung mit dem jeweiligen Objekt; ein besserer Ausdruck als „Nicht-Anhaften“ wäre willkommen
– Raffen genauso wie Schenken beruht auf der Idee von „meins“, also von Eigentum; „Teilen“ überwindet das Konzept von „meins“ und „deins“; im „Weitergeben“ scheint auf, dass alles, was wir in dieser kurzen Existenz zeitweilig – egal wie kurz oder lang – unser Eigen nennen, uns gegeben wurde und wir zwangsläufig weitergeben werden, weil wir gehen werden, wie wir gekommen sind
– Das Gegensatzpaar „Haben oder Sein“ (Erich Fomm) bezieht sich auf Existenzweisen von MIR als getrenntem Individuum. Der Begriff Mitsein beinhaltet, dass das menschliche ICH überhaupt nur als Teil eines viel Umfassenderen möglich wird
– Reichtum und Armut beziehen sich auf die Menge der verfügbaren Dinge und zwar immer im Vergleich zu getrennten anderen, sonst gäbe es gar keinen Maßstab für eine solche Bewertung. Gemeinschaftlich werden diese Kategorien irrelevant, weil Güter sich von Privateigentum zu gemeinsamen Ressourcen wandeln
– der Realität von Angst und Mangelempfinden steht gesellschaftlich das Streben nach Glück, wo erstere enden sollen gegenüber – vgl. die üblichen Werbebotschaften. Beides sind Lebens-Grundgefühle, die sich auf das Individuum beziehen; Verbundenheit überwindet die Idee des getrennten Individuums
Bezogen auf die Ökonomie bedeutet das:
Altes Paradigma | Neues Paradigma |
Profit | Nutzen |
Konkurrenz | Kooperation |
Eigentum | Besitz |
Statt auf der Basis von Eigentum in Konkurrenzstrukturen Profite zu generieren geht es darum, auf der Grundlage von Besitz in Kooperation Nutzen zu erschaffen.
In Anbetracht der Phänomene Klimawandel, Bodenverlust, Verlust von Biodiversität etc. sollte uns klar sein, dass wir den Planeten als Ganzes als eine Allmende, oder Gemeingut begreifen müssen. Aber Allmenden können nicht im Konkurrenzmodus bewirtschaftet werden, sie müssen in Kooperation gepflegt werden. Im Resultat bedeutet das nichts weniger, als dass die Menschheit einen Paradigmenwechsel aus dem Konkurrenz- in das Kooperationsparadigma vollziehen muss, um ein planetares ökologisches Desaster abzuwenden.